Daniel P. Andres

Komponist/Dirigent

 

Biographie

Ich lebe seit meiner Geburt in Biel/Bienne, einer kleinen Industriestadt an der deutsch-französischen Sprachgrenze in der Schweiz. Geboren bin ich am 6. März 1937 um 05.45 Uhr (Sternzeichen Fisch, Aszendent Steinbock ?).

Meine Ausbildung erhielt ich in Bern, zunächst am Lehrerseminar Hofwil-Bern, anschliessend am Konservatorium.

Meine wichtigsten Lehrer in Musik waren Prof. Sandor Veress in Komposition und Otto Schaerer, damals Organist an der französischen Kirche Bern, in Orgel. Ich schloss ab mit einem Lehrdiplom für Theorie und Komposition und mit einem Lehrdiplom für Orgel. Auf der Orgel bereitete ich mich auf ein Konzertdiplom vor, die Abschlussprüfung habe ich aber nicht gemacht.

Ich habe in meinem Leben einige Berufe und Tätigkeiten ausgeübt, in der Reihenfolge (manchmal auch gleichzeitig): Volksschullehrer, Journalist, Kapellmeister, Sachbearbeiter auf der städtischen Baudirektion, Buchhändler und Verleger, Koch und Restaurantbetreiber, Organist und Chorleiter, Politiker.

Nach dem Musikstudium wurde ich hauptberuflich Journalist, weil keine geeignete Stelle in Musik (als Theorielehrer oder als Organist) frei war. Ich arbeitete für einige wichtige schweizerische Tages- und Wochenzeitungen und hätte gut eine Redaktorenkarriere durchlaufen können. Aber 1972 wurde ich sozusagen als Kapellmeister, Chordirektor und Assistent des musikalischen Oberleiters an das Musiktheater Biel "berufen", eine kleine, damals im Neuaufbau begriffene Bühne.

1976 besuchte ich einen Meisterkurs für Komposition mit Kasimierz Serocki an der Musikakademie Basel.

Nach fünf Jahren als Theater- und Konzertdirigent, Studienleiter, Inspizient und Mitglied des Orchesters (Perkussion und Tasteninstrumente) fühlte ich mich ausgebrannt (und auch ein wenig verheizt). Für eine weitere Laufbahn an anderen Theatern fühlte ich mich mit vierzig bereits zu alt.

So ging ich für fast ein Jahr nach Südspanien in die Nähe von Almeria, wo ein Freund ein Haus besass, in dem ich in ziemlicher Abgeschiedenheit komponieren, lesen und nachdenken konnte. Unterbrochen wurde der Spanienaufenthalt durch Reisen nach Paris und Florenz sowie die Uraufführung meines "Klavierbuchs für Leo" und eines Violinkonzerts in der Schweiz.

Ohne finanzielle Mittel zurück in der Schweiz baute ich ein Buchantiquariat auf. 1978 gab ich ein Buch über die Baugeschichte der Stadt Biel heraus (BIEL-Veränderungen), das ich als freier Mitarbeiter der Bieler Baudirektion (parallel zu meiner Tätigkeit am Musiktheater) in den Jahren zuvor recherchiert und verfasst hatte. Daraus wurde ein eigener Verlag, in welchem insgesamt bis 1983 fünfzehn Bücher erschienen.

1982 eröffnete ich in der Bieler Altstadt mit einem Freund zusammen ein Restaurant, worin ich zunächst für die Küche, aber dann immer mehr für den ganzen Betrieb zuständig war. Nebenbei komponierte ich die Oper "Die Nachtigall der tausend Geschichten" nach einem Stoff aus 1001 Nacht auf ein eigenes Libretto. Die Oper wurde im Februar 1983 in Biel erfolgreich uraufgeführt.

Im Herbst 1983 ging das Restaurant pleite, auch weil mein Freund alles Interesse daran verloren hatte. Im Mai 1984 liquidierte ich Buchhandlung und Verlag, wurde Organist an einer Bieler Quartierkirche und Musikkritiker bei der Lokalzeitung. 1988 übernahm ich eine zweite Organistenstelle und hatte nun eine grosse dreimanualige Orgel zur Verfügung. 1991 übernahm ich den Kirchenchor an Bruder Klaus und 1993 gründete ich einen Kirchenchor an der Zwinglikirche Biel-Bözingen.

Bereits 1986 hatte ich die Leitung der Bieler Sommerakademie übernommen, welche im Juli jeweils Meisterkurse für Klavier, Violine, Violoncello, Trompete und Dirigieren durchführte. Für den Dirigierkurs stand die Kammerphilharmonie aus dem südböhmischen Budweis zur Verfügung. Mit diesem Orchester bestritt ich während der Sommerkurse auch Konzerte in der Region und bis nach Frankreich (Festival von Flaine in Hochsavoyen). 1989 zerstritt ich mich mit den anderen Mitgliedern der Leitung der Sommerakademie, trat dort aus und begründete 1990 das Bielersee-Festival. Bis 1995 organisierte ich im Sommer Konzerte in Kirchen, Schlössern und Klöstern rund um den Bielersee mit namhaften Musikern und Orchestern aus Tschechien, Russland, aber auch Deutschland, Österreich und der Schweiz. In dieser Zeit wurde ich auch zu Gastdirigaten im tschechischen Budweis, in Teplice und Prag, aber auch in den USA eingeladen. 1991 führte ich in Biel eine Komponisten-Werkstatt durch, welche jungen Komponisten die Gelegenheit bot, neue Werke mit einem Sinfonieorchester aufzuführen oder mindestens in einer Lesung durch das Orchester sich anhören zu können. Dieses vielversprechende Projekt und später auch das Festival musste ich wieder aufgeben, weil es immer schwieriger oder beinahe unmöglich wurde, die nötigen finanziellen Mittel zu beschaffen. Zwischen 1990 und 1996 habe ich in "meinen" Kirchen zahlreiche Orgelkonzerte gegeben, Werke von Bach, Buxtehude, italienischen und französischen Orgelmeistern des 17. und 18. Jahrhunderts, César Franck, Paul Hindemith. Mit den Chören führte ich Kantaten von Bach auf, kleinere Messen und Kirchenwerke von Mozart und Schubert, die Litaniae de venerabilis altaris sacramento KV 243 von Mozart u.a.  Konzerte in der Zwinglikirche führe ich bis heute durch, häufig gemeinsam mit MusikerInnen des Bieler Symphonieorchesters.

Ich habe mich auch in der Politik engagiert. 1982 wurde ich ins Bieler Stadtparlament gewählt. 1991 wurde ich lokaler Präsident meiner kleinen Partei, zwei Jahre später Präsident der Kantonalpartei und 1996 Präsident auf schweizerischer Ebene. Für die politischen Ämter habe ich viel Zeit, Energie und Herzblut aufgewendet. Da ich kein Schnorrer bin, da ich mehr als "Philosoph" denn als Macher eingestuft wurde, da ich zu wenig Verbündete für Neuerungen in der eigenen Partei fand, da meine politischen Ideen und Vorstellungen in der eigenen Partei nicht aufgenommen wurden, da ich zuletzt selber nicht mehr an die Zukunft meiner serbelnden Kleinpartei glauben konnte, stellte ich schliesslich mein Amt zur Verfügung.

Seit Herbst 1998 widmete ich mich ausschliesslich meinen Organisten- und Kirchenchorämtern und da ich plötzlich viel Zeit hatte, stürzte ich mich erneut ins Komponieren. Ende 1998 habe ich ein Konzertstück für Klavier und Orchester vollendet und begann anschliessend an einer dreisätzigen Sinfonie für grosses Orchester zu arbeiten, die Ende März 1999 fertiggestellt wurde. Weitere Projekte waren: ein Streichsextett , eine Klaviersonate, Psalm 90 für Alt und Orchester.

Entstanden sind seit 1999: Streichsextett (uraufgeführt im Februar 2003 in der Bieler Stadtkirche); "Winternacht",  sechs Lieder nach Gedichten von Robert Walser; eine Cello-Sonate, "Was ist der Mensch" (nach Hiob und Psalm 90) für Alt und Orchester, dazu eine Fassung für Alt, Streichsextett und Orgel (aufgeführt am 8. Februar 2003); ein Concerto für Bassposaune und Ensemble (Frühjahr 2002); "in memoriam" für Streichsextett (Bearbeitung und Erweiterung eines Stücks für Streichorchester aus dem Jahr 1961); eine Klavier-Sonate, .....

Seit 2002 bin ich offiziell pensioniert, halte aber weiterhin die Organistenstelle an der Zwinglikirche und schreibe Musikkritiken. An sich hätte ich mehr Zeit zum Komponieren, viel Zeit habe ich aber auch aufgewendet um Aufführungen und Aufnahmen zu ermöglichen. Im September 2002 weilte ich im tschechischen Zlin für Aufnahmen von Orchesterwerken mit der Bohuslav Martinu-Philharmonie, im Februar 2003 wurden in Biel drei Kammermusikwerke uraufgeführt. Im Mai 2004 habe ich die Sinfonietta (1998)  und das Violinkonzert von 1976 mit dem Bieler Symphonieorchester aufgeführt. Im Januar 2005 wurde das 2002 komponierte Concerto für Bass-Posaune in Bern und Biel uraufgeführt. 2004 war ein fruchtbares Jahr, es entstanden zwei Streichquartette (eines davon wurde im September im Théâtre du Crochtan in Monthey (VS) uraufgeführt in einer Performance von Peter Wyssbrod), ein Duo für Violine und Violoncello (bereits 2003 begonnen), eine dreiteilige "Musik für drei Perkussionisten", ein Orchesterstück, der zweite und dritte Satz eines Klavierkonzertes (der erste entstand bereits 1998 als "Konzertstück"), ein "Dialog" für zwei Klaviere. Im Übrigen habe ich einen autobiographischen Roman veröffentlicht: Mösli - eine Kindheit (Verlag Die Brotsuppe, Biel) und die Fortsetzung davon geschrieben, sie wartet im Computer auf die Veröffentlichung.

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Meine Ansichten zur aktuellen Musikentwicklung

Mein Kompositionsunterricht bei Prof. Sandor Veress bestand vor allem im gründlichen Studium und der Anwendung des Kontrapunkts. In späteren Studienjahren habe ich mich der Zwölftontechnik zugewandt, auch darin stark kontrapunktisch orientiert (dodekaphonische Inventionen usw.). Die letzten Stücke aus der Studienzeit sind von der Webern'schen Technik beeinflusst. Ich habe mich in den sechziger Jahren auch intensiv mit der seriellen Technik auseinandergesetzt. (Leider habe ich den Kompositionskurs von Pierre Boulez an der Musikakademie Basel zu jener Zeit nicht besucht.)

Vieles in der Entwicklung seit den fünziger Jahren betrachte ich als Sackgasse. Es ging oft darum, zur Avantgarde zu gehören, indem man gewisse Prinzipien bis zur letzten Konsequenz, d.h. letztlich ad absurdum führte. Zwangsläufige Folge waren extreme Gegenbewegungen wie die Minimal Music und andere repetitive Techniken. Oder eine Neoromantik ähnlich den "Neuen Wilden" in der Malerei. Oder regressive Tendenzen.

Mein Problem war und ist:

wie kann man absurden Entwicklungen entgehen, eine kreative Freiheit bewahren ohne in Gegenextreme oder Regression zu verfallen?

Ich hatte und habe in meinen Stücken seit den siebziger Jahren verschiedenstes ausprobiert. Rückkehr zu einem expressionistischen Stil (à la Alban Berg) im Violinkonzert (1976), eine atonale oder freitonale Weiterentwicklung impressionistischer Techniken (Vorbild: La Mer von Debussy) mit voneinander weitgehend unabhängigen strukturellen Schichten. Dabei spielten auch Charles Ives und Gustav Mahler (vor allem die Neunte) eine wichtige Rolle. Meine Stücke "Sambhoga Kaya" und die Märchenoper "Die Nachtigall der tausend Geschichten" wurden deshalb als "neoimpressionistisch" etikettiert. Unter dem Einfluss des Kompositionskurses bei Kasimierz Serocki versuchte ich es mit reiner Klangfarbenkomposition ("Rondes" für Schlagzeug, Duo für Violoncello und Kontrabass, Sonata für 18 Streicher). Ich bin davon wieder abgekommen, weil es mir darum geht, alle Errungenschaften und Möglichkeiten, die in 1000 Jahren europäischer Musikgeschichte entstanden sind (und dazu auch aussereuropäische Musikkultur), frei anzuwenden und zu kombinieren.

Aber bereits bei der Oper stellte sich mit das Problem, sangbare und für das Publikum textverständliche Vokalpartien zu schaffen. Noch stärker war ich mit dem Problem konfrontiert bei "...alors la nuit se change en lumière", einer Auftragskomposition für Laienchöre. Das Orchester spielt hier repetitive Schichten, der Chor singt akkordische oder kontrapunktische Gebilde und die Orgel spielt wilde Cluster und toccatenhafte Figuren.

Immer baute ich seit "Sambhoga Kaya" auch reine Dreiklänge ein, sozusagen als Ruhepunkte und Entspannungsmomente. Der Dreiklang (oder ein anderer "traditioneller" Akkord) ist dabei der Spezialfall eines Clusters. Ich wähle - vielleicht im Rückgriff auf Olivier Messiaen, der verschiedene Akkorde und Intervalle auch mit bestimmten Farben assoziiert - aus einem zwölftönigen Cluster Klangkombinationen aus, die im Extremfall einen reinen Dreiklang ergeben, aber immer in Dichte und Spannung unterschiedlich sind. Die Möglichkeiten sind nicht unerschöpflich aber vielseitig. Dazu kommt das Bedürfnis nach freischwebenden Linien, die im Gegensatz zum klassischen Kontrapunkt sich möglichst unabhängig voneinander bewegen und deren vertikale Zusammenklänge mehr oder weniger aber doch nicht ganz zufällig sind, denn die Zusammenklänge sollen je nach gewünschter "Farbe" oder Stimmung mehr oder weniger geschärft sein. Die Melodik wird zunehmend diatonisch in einem freien zwölftönigen Raum.

In "Sambhoga Kaya" habe ich - ähnlich Scrjabin, aber davon wusste ich damals noch nicht - einen zwölftönigen Akkord entwickelt, der aus Tritonus und Quarten, damit auch aus grossen Septimen und bei einer entsprechenden Schichtung auch aus Terzen besteht. Je nach Auswahl der Töne ergeben sich mehr Terzen oder mehr grosse Septimen, also einen milderen oder einen schärferen Klang. Es ergibt sich aus dieser Kombination auch eine Ganztonreihe (c-fis-h-f / e-b-es-a / gis-d-g-cis; die Kombination c-fis-e-b-gis-d ergibt gestaucht eine Ganztonskala).

Mein Ziel ist nach wie vor, aus einem zwölftönigen (oder auch aus Mikrointervallen ergänzten Bereich) eine für den Hörer aufnehmbare und für den Musiker interessant zu spielende Musik zu machen, die Stimmungen und Bilder erzeugen kann, die frei schwebt, locker ist und möglichst nicht schwitzt, aber dennoch ein breites Farbspektrum von grell bis pastell, von Traum bis harter Realität ermöglicht. Ausdruck ja, aber ich bringe nicht mein unscheinbares Seelenleben ein, sondern Gefühle, die überindividuell sind. Die Musik sollte neu sein, d.h. fast alles Ausscheiden, was bereits gehört wurde oder es dann als gewolltes Zitat oder als Assoziation verwenden. Die Aesthetik ist: Musik als Musik und nichts anderes. Aber gleichzeitig über das Ohr beim Zuhörer etwas auslösen: innere Schwingungen, eine Erweiterung des inneren Kosmos. Wie ein Maler (Gottfried Honegger) sagte: über die Veränderung des Sehens eine andere Einstellung zur Welt, eine geschärfte Wahrnehmung bewirken. So kann man über die Veränderung des Hörens wohl auch innere Einstellungen (bei denen die dazu bereit sind) erwirken. Man könnte auch Erörterungen über das Verhältnis von Rationalität und Irrationalität beim Komponieren anstellen. Rationalität ist ein Werkzeug, um "Einfälle" kritisch zu beurteilen und ein tragfähiges Gerüst für eine Komposition zu erstellen. Meine Vorstellung ist aber auch, dass ein Werk etwas organisch gewachsenes sein sollte, worin sich das Eine aus dem Vorhergehenden entwickelt, also weniger Architektur als vielmehr Entfaltung aus einem Keim.

Wenn ich diesen Text im Jahre 2003 wieder lese, habe ich kaum etwas beizufügen. Höchstens: meine Musik hat sich inzwischen wieder etwas geschärft ohne von den Grundprinzipien abzuweichen. Überlagerung von Schichten und rhythmischen Mustern, Ableitung von Klängen aus dem Basisakkord (s.oben), autonome Klangfarben, Suche nach grösster Freiheit (irrationale Rhythmen, weg vom Taktstrich und von einem zugrundeliegenden Zeitwert). Obschon ich dissonanter geworden bin, empfinden die Zuhörer die Klänge nicht als dissonant..., die Dissonanz als Farbe...

 

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Letzte Aktualisierung: 08. August 2008 .